werwiewas?

Not*Lösung. Arbeit- und Aktionsgruppe für Kritik-Subversion-Emanzipation

Die „Not*Lösung“ ist eine offene Arbeits- und Aktionsgruppe.

Wir treffen uns, um uns Instrumente für eine gute Kritik der bestehenden Verhältnisse in emanzipatorischer Absicht zusammen zu erschließen. Denn diese Verhältnisse produzieren Zwang und Angst, Unfreiheit, schlechtes Leben; sie sind eng verbunden mit Patriarchat, Rassismus, Sexismus, Homo&Transphobie, Antisemitismus, Nationalismus; sie machen die Zerstörung der Natur unausweichlich; sie verdammen zur Anpassung und Verzweiflung und behaupten, es gäbe keine Alternative.

Die Teilnahme an den Treffen der Gruppe schließt die Arbeit/Nähe/Mitgliedschaft in einer anderen linken/linksradikalen/kommunistisch/anarchistischen/queerfeministischen… politischen Gruppe nicht aus: Wir wissen, dass es die Perfekte politische Gruppierung nicht gibt (und wir wollen es nicht werden, keine sorge!) und das es auch bei ähnlicher Analyse zu sehr unterschiedlichen Strategien und Praxisformen kommen kann.

Die Gruppe bietet einen Raum für einen offenen Austausch von Menschen, die ihre Kritik schärfen wollen; sie eignet sich auch für die, die sich (noch) nicht an eine Organisation binden möchten oder die entspannter in politischer Arbeit einsteigen möchten.

Auch wollen wir die Anbindung zu anderen Gruppen in Münster pflegen und uns an gemeinsamen Aktionen unterstützend beteiligen.

Auch wenn wir eine offene Gruppe sind arbeiten wir auf der Grundlage einiger Einsichten und Vorsätze, die im Folgenden, so einfach wie es uns gelungen ist, angesprochen werden sollen – sicherlich vereinfachend:

*  *  *

„Leute, die über Revolution reden, oder über Klassenkampf, ohne sich dabei explizit auf das alltägliche Leben zu beziehen, die nicht verstehen, was subversiv an der Liebe ist und was positiv ist an der Zurückweisung von Beschränkungen, solche Leute haben eine Leiche in ihrem Mund.“

(Vaneigem)

            Wir wollen uns in die Kritik[1] der bestehenden Verhältnisse gut Einüben, ohne Vereinfachungen und Verkürzungen. Anfangend damit, dass unsere Gesellschaftskritik kein Selbstzweck sein will: Wir kritisieren diese Gesellschaft, weil sie das Leben unter vielen Aspekten beschränkt.

Wir kritisieren also den Kapitalismus als Gesellschaftsform, in der das Leben der Menschen so bestimmt wird, dass Individuen sich nicht frei entfalten können, dass Beziehungen nicht frei gestaltet werden können – in dem traurige und von Angst belastete Subjekte hervorgebracht werden, die vieles ihres Subjektseins einbüßen: als Gesellschaftsform, die das Leben unschön macht, Beschränkt, Verzerrt. Das ist der Anlass, unserer Kritik.

Wir Kritisieren den Kapitalismus als Herrschaftsformation: Als Herrschaft des Verwertungszwangs, die aber auch bestimmte Herrschaft von Menschen über Menschen hervorbringt. Gerade in den letzten Jahrzehnten, haben kapitalistisch-liberale Gesellschaften angefangen, zunehmend die Freiheiten, die doch in ihnen auf widersprüchliche Weise behauptet wurden, durch autoritäre Veränderungen zu leugnen und der Herschaftscharakter der liberalen Welt ist deutlicher geworden.

Wir kritisieren den Kapitalismus, als falsche Verbindung von Einzelnen und Gesamten, die durch eine bestimmte Weise, Individuen zuzulassen, zu einer Herrschaft des Ganzen über die Einzelnen führt und zu Beziehungen der Unterdrückung zwischen Einzelnen. Wir kritisieren den Kapitalismus nicht, weil er  den Individuen zu viel Raum gibt, sondern zu wenig. Wir möchten dagegen verstehen wie es geht, dass das Gesamte so gestaltet wird, dass die Individuen nicht unterdrückt und verzweckt werden, nicht in ihrer Eigenständigkeit und Besonderheit gleichgeschaltet werden.

Wir kritisieren den Kapitalismus für seinen pervertierten Umgang mit der Umwelt, der dazu zwingt, die Umwelt zu zerstören.

Wir wollen uns mit den Zahlreichen Formen von Unterdrückung und Diskriminierung beschäftigen, und uns fragen, wie sie mit dieser Gesellschaftsform verbunden sind: Rassismus, Sexismus, Homo&Transphobie, Antisemitismus. Zwar ist der Kapitalismus nicht die alleinige Ursache von Herrschaft und Unterdrückung, doch ist Kapitalismus an jeder Form von Unterdrückung maßgeblich beteiligt und prägt auf seine Art diese Formen von Unterdrückung. Insbesondere ist Kapitalismus nicht ohne Rassismus und Patriarchat denkbar. Deshalb sind Antirassismus und Feminismus Perspektiven, ohne die eine Kritik dieser Verhältnisse und des Kapitalismus als solches, nicht gelingen kann.

Hinter unserer Kritik steht die Lust an einem befreiten Leben, für alle.

Was zu erreichen wäre, wäre nicht die Lösung aller Probleme der Menschheit. Es geht darum, sich überhaupt in sie Lage zu versetzen, die wesentliche Probleme angehen zu können, gemeinsam, bewusst und selbstbestimmt. Deshalb geht es um den Ausgang aus einer Gesellschaft, die durch „blinde Vermittlung, Herrschaft und Gewalt“ gestaltet ist und es dadurch eben nicht möglich macht, die Menschheitsprobleme anzugehen.

1.

Etwas genauer (aber immer noch viel zu ungenau – genau ginge etwa so).

Kapitalismus bedeutet die Herrschaft des Verwertungsgesetzes über alle Individuen und Beziehungen. Es ist nicht nur so, dass der Kapitalismus Individuen und Beziehungen einengt: Er gibt diesen eine verzerrte Form. Der Automatismus der Selbstverwertung des Kapitals waltet im Hintergrund und setzt sich auch jenseits des Willens und Bewusstseins der Akteure durch, obwohl es deren Willen und Handeln bedarf, um sein zu können. Folge: Individuen leben in ihren Beziehungen nicht als Selbstbestimmte: Selbstbestimmung geschieht bloß in Teilbereichen und unterhalb des Automatismus der Verwertung; gleichzeitig ist selbstbestimmtes Handeln in gewissem Maße, nämlich im Tauschverhältnis, Mittel zur Durchsetzung des Verwertungsgesetzes: Kapitalismus bedeutet die Unterordnung und Verstellung der Bedürfnisse der Menschen unter dem Ziel der Verwertung – damit ist das ganze Leben, ausgehend von seiner materiellen Grundlage, im Verwertungsprozess eingesaugt; Bedürfnisse, Begehren und Lust der Menschen.[2]

Eine entscheidende Rolle für die Existenz von Kapitalismus spielt das Privateigentum an den Mitteln die man zur Produktion, von dem was man zum Leben braucht, benötigt. Privateigentum bedeutet eine ungleiche Verteilung des Zugangs zur Welt – genauer: Privateigentum ist das Recht des Eigentümers darauf, alle anderen vom Zugang zu einer bestimmten Sache auszuschließen. Für die meisten heißt es, zu nichts anderem als zur eigenen Zeit und Kraft Zugang zu haben. Deshalb müßen sie zu allem bereit sein, um das, was sie zum Leben brauchen, zu bekommen. Ihr Leben steht dadurch unter permanenter Bedrohung und Erpressung – auch wenn man diese nicht mehr wahrnimmt. Für die Eigentümer heißt es, ihr Eigentum dafür einzusetzen, dass es mehr als das der Konkurrierenden werde. Für beide heißt es: unter dem Zwang der Verhältnisse handeln zu müssen.

Der Ausgang aus dem Kapitalismus beinhaltet die Gestaltung eines gemeinsamen Zugangs zur Welt: Alles soll allen zugänglich sein („Alles allen!“). Damit ist auch die Aufteilung der Menschheit in konkurrierende Gruppen und Individuen überwunden.

Aus diesen Verhältnissen folgt auch, dass die meisten Menschen ihr Leben um Arbeit herum gestalten müssen. Diese Arbeit ist aber nicht (wenige), gemeinsam getragene, Arbeit, die dafür da ist, die Mittel für das gute Leben hervorzubringen. Es handelt sich im Gegenteil um viel, anstrengende, auf Menschen in unterschiedlichem Maße lastender Arbeit, die dem Zweck der Mehrwertschöpfung dient.

Das heißt auch: zur primären Tätigkeit für die meisten Menschen wird eine Tätigkeit, die einem fremdbestimmten Zweck dient. Fremdbestimmt durch die Dynamik des Ganzen. Dazu kommt, dass diese Tätigkeit den Menschen weniger zurückgibt, als sie in ihre Arbeit hineinstecken – weil der größte Teil ihrer Arbeit in die Wertschöpfung fließt (Lohnarbeit).

Wir halten fest:

„Arbeit ist die andere Seite des Kapitals, sie ist Zwangsprinzip, sie ist die Tätigkeit zu der die unmündig-gemachten gezwungen werden, sie wird zur Ersatzreligion und zum Ort, in dem man die eigene Realisierung sucht. Das wollen wir nicht“.

Diese Verhältnisse – trotz ihrer Verselbständigung und ihrem Automatismus – entspringen aus Gewalt, werden durch Gewalt aufrechterhalten und erzeugen Gewalt. Der Automatismus, mit dem sich die Verhältnisse reproduzieren, ist schon an sich gewalttätig, bedarf aber auch immer wieder neuer Gewalt, um am Laufen gehalten zu werden.

Das sieht man besonders in Zeiten ausdrücklicher Krisen: Dann werden durch Gewalt noch mehr Mittel für die Verwertung vereinnahmt und Menschen zu noch größeren Opfern gezwungen.

Und sowieso verlangt die ungleiche Aufteilung der Welt Grenzen, Lager und Gräber.

 Eine richtige materialistische Kritik muss schließlich die Erfahrung der Shoah  ins das Innerste seiner Kategorien aufnehmen und dieses Zeitkern der Wahrheit  reflektieren. Das Kapital entfaltet sich durch seine Krise in der nazifaschistischen Barbarei, die dabei etwas qualitativ neues darstellt. Die Barbarei heißt aber Vernichtung.

2.

Wir haben auch nichts für Staat und Nation übrig. Selbstverständlich nichts für Volk und Völker

Der Staat ist nicht vom Kapitalismus zu trennen und eine Kritik kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse beinhaltet auch immer eine Kritik des Staates.

Der Automatismus der Selbstverwertung des Wertes vollzieht sich durch die Warenproduktion und den Warentausch. Damit Warentausch stattfinden kann, bedarf es aber einiger Elemente: Menschen müssen als freie und gleiche Rechtssubjekte eingesetzt werden, die dazu befugt sind, Verträge abzuschließen, und die sich gegenseitig als Warenbesitzer*innen anerkennen und respektieren. Das heißt: Menschen müssen in gewissem Maße als Träger eines freien Willens anerkannt werden.  Der Staat tritt als Garant dieser Aspekte – durch implizite Androhung von Gewalt – hervor.

Alle Menschen, die im Kapitalismus nicht anders als in Form von Warensubjekten existieren können, müssen den Staat als jene dritte Instanz, die sie als Warensubjekte erhält, wollen. Der Staat bringt kapitalistische Subjektivitäten hervor und ist dann gleichzeitig für deren Fortbestehen notwendig. Das durch Staat und Recht zum Warensubjekt gemachte Individuum ist zum einen auf seine Einzelinteressen als Warenbesitzer zurückgeworfen, und muss seinen höchsten Vorteil im Tausch verfolgen; gleichzeitig muss es – immer noch aus Eigeninteresse – den Staat wollen als Garant jener Allgemeinheit, die zur Durchführung des Tausches notwendig ist und die sich nicht unmittelbar mit seinem Einzelinteresse deckt.

Sofern das ganze Leben der Menschen unter kapitalistischen Bedingungen stattfindet, muss jeder, der nicht bis zu einer Kritik dieser Bedingungen geht, weiterhin den Staat als den wollen, der dafür sorgt, dass in seinem Territorium die Kapitalakkumulation so gut wie möglich gelingt, sofern von dieser auch die partielle Verbesserung der Lage der Einzelsubjekten abhängt. Kurz: Der Staat vertritt unter kapitalistischen Verhältnissen das allgemeine Interesse der Gesellschaft auf seinem Boden, welches aber letztlich das bestmögliche Funktionieren der Verwertung bedeutet. Vom Gelingen der Kapitalakkumulation hängt es auch ab, ob der Staat seine Versprechen, für die Allgemeinheit zu sorgen, mit ausreichenden Mitteln nachgehen kann. Dazu gehört etwa, seine Bürger*innen gesund und gebildet genug für die Bedürfnisse der Wirtschaft zu erhalten. In dieser Aufgabe wendet sich der Staat oft gegen das Interesse einzelner Kapitalist*innen. Nach außen – mal verhandelnd, mal kämpfend – vertritt der Staat die Interessen seines Kapitals vor anderen Staaten und auf dem Weltmarkt und darin indirekt und untergeordnet, das Interesse seiner als Waren – und Rechtssubjekte betrachteten Bürger*innen.

Diese relative Selbständigkeit des Staates von der Ökonomie führt auch dazu, dass Menschen den Staat als Appellationsinstanz für ihre verletzten Ansprüche und als Schlichter der Konflikte innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft betrachten, sowie als Garant ihrer Interessen vor „fremden“ Bedrohungen.

Mit dem Staat ist die Besonderheit kapitalistischer Herrschaft verbunden: Dass es sich nicht um personale Herrschaft handelt, sondern um eine anonyme Herrschaft des Verwertungsgesetzes, die sich in der Vermittlung des Warentausches durchsetzt: also durch ein freies Verhältnis unter Individuen.

Schließlich trägt der Staat wesentlich dazu bei, dass man kapitalistische Verhältnisse als quasi-natürlich und damit als notwendig erachtet, und dass man diese Ordnung als eine versteht, die auf Freiheit und Gleichheit gründet. Der Staat bringt Subjekte hervor, die sich bloß im Rahmen des Staates und seines Rechtes konzipieren können – verstaatlichte Individuen.

Im Kapitalismus bietet der Staat in seiner Bestimmung als Garant der Reproduktion der Bedingungen für gelungene Kapitalakkumulation auf einem Territorium auch die einzige – stets relative – Garantie für die Individuen: in der Form der Anerkennung der Menschenrechte als Bürgerrechte und in seine integrativen Maßnahmen, die die zerstörerische Kraft der Verwertungslogik nicht bis zur Vernichtung ausbrechen lassen (Sozialstaat); noch mehr: als Gewaltmonopolist befreit der Staat tatsächlich von der Bedrohung interner unkontrollierter Gewalt (die in einem Regime der Konkurrenz naheliegen würde) und von der Bedrohung, die durch andere Staaten käme. Der Staat ist tatsächlich Vertreter einer Instanz des Allgemeinen, der Gleichheit und Freiheit – aber stets unter kapitalistischen Bedingungen und damit auch immer im Dienst der Kapitalverwertung. Eine übliche Illusion ist an dieser Stelle, den Staat (den Nationalstaat) als mögliches Instrument zum Schutz der Menschen vor den Interessen des Kapitals zu verstehen; die Illusion wird noch gefährlicher, wenn der Staat als Schutz gegen „fremdes Kapital“ oder böses „Finanzkapital“ verstanden wird.

Aus diesen (und anderen Gründen) glauben wir, dass man nichts Gutes mit dem Staat anfangen kann: Der Staat kann unmöglich ein Mittel der Emanzipation sein. Es geht nicht darum, die Wirtschaft unter die Kontrolle des Staates zu führen. Es geht nicht darum, die Macht im Staat zu erobern um einen Menschenfreundlichen Staat einzurichten. Eine befreite Gesellschaft bedarf keines Staates, um das Gemeinsame zu organisieren.

Moderne Staaten existieren immer als Nationalstaaten. In ihnen ist Nationalismus unausweichlich. Nationalismus betrachten wir weniger als eine Technik der Verschleierung der Herrschenden, um die Beherrschten zu einem Gehorsam zu zwingen, als ein notwendig falsches Bewusstsein, das mit der kapitalistischen Vergesellschaftung einhergeht.

Individuen existieren im Kapitalismus als Bürger*innen eines bestimmten Staates. Alles was Menschen als Fürsorge des Staates für seine Bürger*innen erleben, ist aufgrund der Zugehörigkeit zu diesem bestimmten Staat gewährt und hängt vom Erfolg der Akkumulation des Kapitals von diesem bestimmten Staat ab. Damit sind die Individuen dazu geführt, sich gänzlich mit diesem Staat und dessen Schicksal zu identifizieren. Nationalismus bedeutet damit auch immer Unterwerfung zum Wohle der Nation und Befürwortung von unterdrückenden Maßnahmen. Damit gewinnt die ohnehin geschehende Unterwerfung unter den anonymen Dynamiken der Verwertung eine konkrete und greifbare Gestalt und einen vermeintlichen Sinn. Die Notwendigkeit dieser Unterwerfung wird als freiwillige und ehrbare Teilnahme an ein Kollektiv gedeutet. Kurz: In der Nation bejahen Menschen Staat und Kapital.

Gleichzeitig bietet die Zugehörigkeit zu einer Nation eine Kompensation für das ständige Gefühl der vermeintlich selbstverschuldeten Bedeutungslosigkeit und der realen Gefahr, überflüssig zu sein, an. In der kapitalistischen Gesellschaft wird man von den Verhältnissen dazu genötigt, sich primär mit der eigenen Selbsterhaltung zu beschäftigen unter Bedingungen, die dem Individuum entzogen bleiben. (Daher müssen Individuen einen ausgeprägten Narzissmus entwickeln um besser im Selbsterhaltungswettbewerb voranzukommen. Dieser Narzissmus wird aber durch die tatsächliche Ohnmacht der Individuen permanent gekränkt. Nationalismus dient dann als eine akzeptierte Befriedigung narzisstischer Kränkung.).

Auch freie Identitätsbildung wird im Kapitalismus nur bedingt gewehrt: man ist dazu bestimmt, verwertbar und herrschaftskompatibel zu sein; dafür darf man aber stolz darüber sein, dieser Nation anzugehören und ihre Glorie teilen zu dürfen.

Alle diese Dynamiken sind besonders in Zeiten der Krise spürbar.

Wir glauben also nicht, dass Nation etwas Emanzipatorisches in sich haben kann. Früher oder später entfaltet die Idee der Nation ihren unmenschlichen und regressiven Charakter. Und sowieso: Es geht nicht darum, „Völker“ von „fremder Herrschaft“ zu befreien, sondern Individuen von Herrschaft schlechthin.

Weil Staat und Nation Teil der kapitalistischen Vergesellschaftung sind oder noch regressiveren Formen den Weg bahnen können, glauben wir auch nicht, dass es besonders gute oder besonders böse Staaten gibt, die man jeweils konsequent unterstützen oder konsequent anfeinden soll. Und nie wird ein Staat Retter der Welt oder Schützer der emanzipatorischen Bewegungen sein. Doch: In einer Welt von Nationalstaaten kann ein Staat als Notmaßnahme der einzige Schutz für eine allseits verfolgte Gruppe darstellen, die permanent als in Widerspruch zu den jeweiligen Nationen betrachtet wird..

3.

Kapitalismus führt zwangsläufig Patriarchat, Rassismus und Antisemitismus mit sich mit, ohne dass diese sich bloß auf die kapitalistische Gesellschaftsform zurückführen lassen.  Den Zusammenhang zwischen diesen Dimensionen der Herrschaft wollen wir für uns näher erschließen.

4.

Wir kritisieren den Kapitalismus als ein Ganzes, als das, was die Form einer Gesellschaft bestimmt und das Leben und Bewusstsein der Individuen in ihr.

Das bedeutet Einiges.

  • Wir wollen nicht einfach eine Verbesserung der Lage derer, die im Kapitalismus den Kürzeren ziehen, erreichen. Wir wollen auch nicht den Sieg einer „Klasse“ über die andere. Wenn, dann die Abschaffung einer Welt der „Klassen“ und der mit dem Verwertungszwang verbundenen Herrschaft.
  • Wir wollen nicht einfach bessere und besser bezahlte Arbeit – wir wollen eigentlich die Abschaffung der Arbeit. Arbeit selbst ist Teil des Problems.
  • Wir wollen nicht einen fürsorglichen und „gerechten“ Staat – auch schon deshalb, weil es sowas nicht geben kann. Wir wollen eine Selbstbestimmte die Selbstorganisation der Menschen, die den größtmöglichen Raum für individuelle Selbstbestimmung und führ Zweckfreie Beziehungen ermöglicht. Wir wollen das ende einer Aufteilung der Welt durch Grenzen und der Bindung von Lebensmöglichkeiten an einer staatlichen Zugehörigkeit.

Kurz: Wir wollen die Abschaffung der Verhältnisse, die Zwang, Angst, und Not hervorbringen. Das ist Realismus.

5.

“Die revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts sind vorbei und kommen nicht wieder. Proletariat, Partei, Strategie und Taktik, der ganze Automatismus ist untergegangen, und man muss Emanzipation von vorn rekonstruieren. Es geht uns ähnlich wie dem jungen Marx: Das Kapital ist an der Macht, die Probleme der Gesellschaft eskalieren, aber es ist keine Bewegung mit umwälzender Tendenz in Sicht. Also muss man suchen. Das Unvorhergesehene. Fernab vom Staat.”

(Badiou)

Wir glauben nicht, dass es eine besondere Gruppe gibt, die ihrem Wesen nach die große Veränderung hervorbringen muss und kann. Wir hüten uns davor, eine bestimmte Gruppe zu idealisieren. Vielmehr gibt es an zahlreichen Stellen zahlreiche Formen von Leid und Unfreiheit, die Menschen in Bewegung setzen. Alle diese Bewegungen haben in sich Ansätze für eine Kritik der Gesamtverhältnisse: Diese gilt es deutlich zu machen, um einen Bruch mit und einen Ausbruch aus dem Bestehenden zu wagen.

Vor allem ist es wichtig, die Bewegungen der Menschen an den unterschiedlichen Orten der Welt zusammenzubringen – und nicht gegeneinander auszuspielen.

Der Kapitalismus bestimmt das Ganze, jedoch an unterschiedlichen Orten in anderer Weise. Gerne versucht der Kapitalismus, Probleme, die an „Orten“, welche für sein Funktionieren wichtiger sind oder sich besser wehren können, auftreten, woanders hin zu verlagern.

Eine Einseitigkeit von Seiten der emanzipatorischen Kräfte könnte fatal sein und regressiven Projekten dienen.

Auch ist es so, dass die Zivilisation durch Herrschaft und Ausbeutung unmittelbar Hass und Leid hervorbringt. Diese sind aber nicht in ihrer Unmittelbarkeit politisch gut. Was daraus wird, hängt von einer Entscheidung ab: man kann sich der Barbarei hingeben und regressiv gegen Zivilisation aufbegehren, den Hass antisemitisch zum Ausdruck bringen, oder sich für emanzipatorische Kritik und Kampf entscheiden, sich radikaler Gesellschaftskritik verschreiben und sich gegen die Vergesellschaftung durch Kapital und Staat wenden.

Wir glauben nicht, dass eine einheitliche Organisation die radikale Veränderung planen kann, und noch weniger, dass sich die große Veränderung des Ganzen messen und voraussagen lässt.

Vielmehr geht es darum, bereit zu sein, für die günstige Gelegenheit, an der die radikale Veränderung gelingen könnte.  Dafür ist einiges wichtig:

  • Eine scharfe Kritik der Verhältnisse üben und immer mehr Menschen für diese Kritik gewinnen. Zu dieser gehört auch die Kritik der auftretenden Bewusstseinsformen und Ideologien. Wir achten darauf, die progressiven Momente zur Geltung zu bringen, um an diesen anzuschließen und die regressiven zu entdecken, um sie zu bekämpfen.
  • Wo immer es geht, sich der Reproduktion dieser Verhältnisse zu entziehen und ihr durch eine subversive Praxis in die Quere zu kommen;
  • Menschen im Widerstand gegen das Unmenschliche und in Versuchen der Veränderung zusammenzubringen;
  • Dem bestehenden auch Positives entgegenzusetzen: neue Praxen, neue Räume, neue Beziehungen;
  • Die eigene Menschlichkeit, die Lust am Leben und das Verlangen nach unbedingter Freiheit nicht verlieren.

Um dadurch offen zu bleiben für das Unerwartete, für das Auftreten der günstigen Gelegenheit, die in jedem Augenblick möglich ist:

„War die klassenlose Gesellschaft erst einmal als unendliche Aufgabe definiert, so verwandelte sich die leere und homogen Zeit sozusagen in ein Vorzimmer, in dem man mit mehr oder weniger Gelassenheit auf den Eintritt der revolutionären Situation warten konnte. In Wirklichkeit gibt es nicht einen Augenblick, der seine revolutionäre Chance nicht mit sich führt – sie will nur als eine spezifische definiert sein, nämlich als Chance eine ganz neue Lösung im Angesicht einer ganz neuen Aufgabe. Dem revolutionären Denker bestätigt sich die eigentümliche revolutionäre Chance jedes geschichtlichen Augenblicks aus der politischen Situation heraus. Aber sie bestätigt sich ihm nicht minder durch die Schlüsselgewalt dieses Augenblicks über ein ganz bestimmtes, bis dahin verschlossenes Gemach der Vergangenheit“ (W. Benjamin)

_________________________________________________________________

[1] Kritik heißt dabei nicht nur, etwas dagegen zu haben, sondern versuchen zu verstehen, wie diese Gesellschaft und das Leben in ihr wirklich funktionieren.

[2] Man kann sagen: Das Subjekt der Gesellschaft sind nicht die Menschen, sondern die „Selbstverwertung des Wertes“ als „automatisches Subjekt“ (MEW 23, 169). Das Subjektsein der Individuen ist dem Automatischen Subjekt untergestellt und darin Ent-Subjektiviert. Individuen werden im Kapitalismus zu bloße Träger*innen von besonderen Interessen, zuletzt des minimalen Interesse der Selbsterhaltung. Sie gehen darin als Selbstzweck, als Subjekte, denen es um die eigen „Herstellung“, um die Entfaltung ihrer Potentialitäten, verloren. Die Selbstverwertung als Subjekt gründet auf die Individuen als Subjekten. Die Bewegung des Wertes geht von den Einzelsubjekte aus, verselbständigt sich allerdings von diesen und endet damit, maßgeblich ihr Handeln und ihr Denken zu bestimmen. Im Kapitalismus ist das Subjektsein der Menschen gerade dadurch verunmöglicht, dass der Mensch darauf zurückgeworfen ist, sich selbst zu erhalten. Subjekte im Kapitalismus ringen um ihren Selbsterhalt – müssen um ihren Selbsterhalt Ringen – und können nicht sich als Subjekte realisieren: weder als Subjekt handeln, noch sich gemäß des Subjektseins vollziehen.